Kurzer Auszug: Auschwitz und eine menschliche Zukunft (18. November 1964)
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Eugen Kogon (1903 – 1987)
Soziologe und Politikwissenschaftler
Bilder des Verbrechens:
zwei Ausstellungen während des Auschwitz-Prozesses
Im Dezember 1963 begann in Frankfurt der erste Auschwitz-Prozess, den der Hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer angebahnt hatte. Insgesamt 22 Offiziere des Konzentrations- und Vernichtungslagers waren angeklagt. Fast zeitgleich eröffnete in der Paulskirche eine Ausstellung über das Warschauer Ghetto und die nationalsozialistische Vernichtungspolitik. Sie wurde vom Verband für Freiheit und Menschenwürde organisiert und präsentierte Bilder der Verbrechen. 1964 folgte am gleichen Ort die Ausstellung „Auschwitz – Bilder und Dokumente“. Initiiert von Bauer und dem Frankfurter Bund für Volksbildung stellte sie neben Bildern aus Auschwitz auch Gegenstände wie Kleidung oder Haare der Ermordeten aus. Beide Ausstellungen zeigten Dosen des in Frankfurt entwickelten Giftgases Zyklon B, das zum Massenmord in den Gaskammern eingesetzt wurde.
Die Ausstellungen brachten erstmals einer breiteren Öffentlichkeit die Wirklichkeit des Warschauer Ghettos, der Deportationen und der Vernichtungslager nahe. Sie dokumentierten diese nicht nur, sondern klärten zudem über die Notwendigkeit des Prozesses gegen die verantwortlichen KZ-Wächter auf – auch angesichts der Stimmen, die die Vergangenheit „endlich“ ruhen lassen wollten. Dass die Ausstellungen die Taten der Angeklagten behandelten, wurde seitens der Strafverteidiger als Vorverurteilung kritisiert. Andere sorgten sich, dass die Ausstellung wegen der Zusammenarbeit mit osteuropäischen Museen und dem Internationalen Auschwitz Komitee kommunistisch beeinflusst sei. Die Ausstellungsmacher reagierten darauf mit geringfügigen Veränderungen, kamen jedoch nicht der Forderung nach Schließung nach.
Generalstaatsanwalt Fritz Bauer während der Eröffnung der Auschwitz-Ausstellung 1964 (Foto: Werner Schindler)
Auschwitz in Frankfurt:
Aufklärung und Entsetzen der Ausstellungsbesucher
Begleitend zum ersten Frankfurter Auschwitz-Prozess hatten die Ausstellungen „Warschauer Ghetto“ (1963) und „Auschwitz – Bilder und Dokumente“ (1964) in der Paulskirche das Ziel, die bundesdeutsche Öffentlichkeit über die Wirklichkeit der Verbrechen aufzuklären. Nach Jahren des gesellschaftlichen Schweigens lösten sie Erschütterung aus – gerade bei den jüngeren Generationen. Beide Ausstellungen waren sehr gut besucht und wurden später in vielen anderen Städten gezeigt.
Wie wurde Auschwitz thematisiert? Und was wurde gezeigt? Neben historischen Dokumenten und Gegenständen sind es insbesondere übergroße Fotografien, die in den Ausstellungen sehr eindringlich wirken. Die Bilder des Warschauer Ghettos, der KZ-Häftlinge und des Lageralltags sollen aufrütteln und für sich selbst sprechen. Die schwache Beleuchtung im Sockelgeschoss der Paulskirche erzeugt eine düstere Atmosphäre. Dadurch wirken die dargestellten Verbrechen wie aus einer finsteren und weit entfernten Vergangenheit. Hinzu kommt, dass die meisten Fotos von Tätern stammen und deren Blick auf die Inhaftierten wiedergeben. Kaum eine abgebildete Person wird mit Namen identifiziert. Was also sollen diese Fotos bewirken? Die Besucherinnen und Besucher emotional berühren und Entsetzen auslösen? Die beiden Ausstellungen haben dasselbe Problem wie der Auschwitz-Prozess selbst: sie kreisen um die Verbrechen derjenigen, die im Warschauer Ghetto und im Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz ihren Dienst versehen hatten. Die Mitwirkung der breiten Bevölkerung wie auch die traumatischen Langzeitfolgen, mit denen die Überlebenden zu kämpfen haben, werden indessen nicht thematisiert.
Besucher in der Auschwitz-Ausstellung 1964 in der Paulskirche (Foto: Werner Schindler)
Eine neue Bedeutung der Paulskirche:
Reden über Mitschuld und Verantwortung
Die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit Auschwitz steht 1963 noch am Anfang. Der Auschwitz-Prozess in Frankfurt und die Ausstellungen über das Warschauer Ghetto und das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz in der Paulskirche holen die Verbrechen der Vergangenheit ins Bewusstsein der Gegenwart. Die Frage der Komplizenschaft weiter Teile der deutschen Bevölkerung und die Kritik an der Verdrängung der Verbrechen rückt so nach Kriegsende stärker in den Blick. Beide Ausstellungen fragen nicht nur nach den Bedingungen, die Auschwitz möglich machten, sondern auch nach dem Umgang mit der Schoa nach 1945.
Stärker als in den Ausstellungen selbst werden diese Fragen in den Eröffnungsreden sowie den Begleitheften thematisiert. Dass niemand behaupten könne, nichts mitbekommen zu haben, und dass viele der Täter noch immer „unter uns“ leben – diese Feststellungen führen zur Forderung, die Geschichte nicht ruhen zu lassen, sich vielmehr kritisch mit ihr zu befassen. So wendet sich Eugen Kogon in seiner Rede zur Ausstellungseröffnung 1964 gegen die Forderung des Schlussstrichs und der Verjährung der NS-Verbrechen. Kogon, Autor des Buchs Der SS-Staat (1946) und Überlebender des Konzentrationslagers Buchenwald, stellt sich gegen die verbreitete Ansicht, dass der Auschwitz-Prozess und die Ausstellungen die Erneuerung des Bilds von Deutschland in der Welt erschweren würde. Für Kogon gewinne durch die Ausstellungen auch die Paulskirche, die Wiege der deutschen Demokratiegeschichte, eine neue Bedeutung als Ort der Kritik an Mittäterschaft und Verdrängung. Deutschland könne sich der Verantwortung für die Verbrechen nicht entziehen.
Eugen Kogon bei der Ausstellungseröffnung 1964 (Foto: Werner Schindler)
Längerer Auszug: Auschwitz und eine menschliche Zukunft (18. November 1964)