Auszug: Das echte Gespräch und die Möglichkeiten des Friedens
(27. September 1953)
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Martin Buber (1878 – 1965)
Religionsphilosoph und Schriftsteller
In Deutschland:
die Hoffnung auf ein Zeichen der Versöhnung
Mit dem Friedenspreis 1953 für Martin Buber wird nach Max Tau, dem ersten Träger des Friedenspreises im Jahr 1950, bereits das zweite Mal ein Jude für seine Schriften ausgezeichnet. Vielen ist Buber damals als Bibelübersetzer und humanistischer Geist bekannt. Sein dialogisches Denken, das er in seinem Frühwerk Ich und Du (1923) entwickelt hat, wird bis heute als Grundlage des christlich-jüdischen Gesprächs sowie der deutsch-jüdischen Versöhnung nach 1945 betrachtet. Oberbürgermeister Walter Kolb drückt in seinem Grußwort die Hoffnung aus, dass der Preisträger die Botschaft in die Welt trage, wonach die Deutschen der NS-Ideologie abgeschworen haben und redlich um den Aufbau einer friedlichen Nation bemüht seien.
Welche Rolle spielen die NS-Verbrechen der jüngsten Vergangenheit hierbei? Wie lassen sie sich nach so kurzer Zeit für den Oberbürgermeister einordnen? In seiner Rede zur Grundsteinlegung im Jahr 1947 bezeichnet Kolb sie als Werk einiger „Verblendeter“, als tragisches Schicksal. Für ihn bilden sie den belasteten Ausgangspunkt des Wiederaufbaus, an dessen Ende die Paulskirche als „Denkmal europäischer Geisteshaltung und Größe“ erstrahlen sollte. Frankfurt und Deutschland insgesamt seien „hart getroffen“, nun aber voller Tatkraft und Lebensdrang, auf der Suche nach Heilung ihrer „Wunden“. Kolb spart in seiner Rede die wichtige Frage aus, weshalb der freiheitliche Geist, den er für den Wiederaufbau beschwört, nichts gegen den Faschismus ausrichten konnte.
Martin Buber vor Beginn seiner Rede in der Paulskirche (Foto: Boris Spahn, Friedenspreis-Archiv)
Martin Buber vor Beginn seiner Rede in der Paulskirche (Foto: Boris Spahn, Friedenspreis-Archiv)
Was zu erwarten war:
Dialog oder „Vergegnung“
In Martin Bubers Rede in der Paulskirche geht es neben dem Thema Frieden vor allem um die Frage des Dialogs, des „echten Gesprächs“. Er denkt dabei auch über „das Beharren der Spannung in der Näherung“ nach. Ein Gespräch laufe nicht immer auf Versöhnung hinaus, sondern könne auch Konflikte hervorbringen. Dem gelingenden Dialog stellt Buber dabei stets die negative Entsprechung gegenüber, den Monolog oder das Ausbleiben einer Antwort. Als „Vergegnung“ begreift er solche Gespräche, in denen sich trotz Bemühen kein Dialog, keine Debatte einstellt.
Für Buber bedarf das echte Gespräch nicht allein des Vertrauens, sondern einer ernsthaften Bereitschaft, sich mit dem anderen auseinander zu setzen und die Konsequenzen des Gesprächs anzunehmen. Die Erinnerung an die Verbrechen der Schoa setzt Buber in seiner Rede an den Anfang des Gesprächs. Auf diese Weise eröffnet er mit der Annahme des Friedenspreises den Dialog mit den Zuhörenden und zeigt sich bereit, die Menschen im Nachkriegsdeutschland nicht unter Generalverdacht zu stellen. Dem vor allem jungen Publikum in der Paulskirche will er sich aufgrund seiner freiheitlichen Gesinnung nicht verschließen. Eine sehr großzügige Geste, denn er wusste, dass es noch immer völkisch orientierte Tendenzen in der deutschen Jugend gab. Trotzdem oder gerade deshalb wollte er mit seiner Rede die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit sowie mit den neuen Konflikten der Gegenwart, wie dem Kalten Krieg, im hier und jetzt, im Alltag anstoßen.
Martin Buber spricht in der Paulskirche in Frankfurt
		(Foto: Boris Spahn, Friedenspreis-Archiv)
Martin Buber spricht in der Paulskirche in Frankfurt (Foto: Boris Spahn, Friedenspreis-Archiv)
Anstoß der Debatte:
die Frage der Rückkehr nach Deutschland
Dass Martin Buber den Friedenspreis persönlich annehmen wollte, wurde in jüdischen Zeitungen im Ausland äußerst kontrovers diskutiert. Für viele intellektuelle Weggefährten war es zu früh für eine Annäherung an die deutsche Nachkriegsgesellschaft, vielen Überlebenden erschien Bubers Preisannahme geradezu gefühllos. Dem voraus ging die Debatte über die Verleihung des Hansischen Goethe-Preis an Buber 1951. Der damaligen Kritik hatte er sich zunächst gebeugt. Im gleichen Zeitraum wurde in Israel über das Wiedergutmachungsabkommen mit der BRD heftig debattiert. Reparationen aus dem Land der Täter sollte man, so die verbreitete Meinung, genauso ablehnen wie Kulturpreise. Deutschland habe sich nicht ansatzweise mit seinen Verbrechen befasst.
Kann man sich als Jude so kurz nach der Schoa in öffentliche Diskussionen in Deutschland einbringen? Buber beantwortete diese Frage für sich und reiste 1953 für Vorträge sowie zur Annahme beider Preise gleich zwei Mal in die Bundesrepublik. Ungeachtet seiner kritischen Sicht auf die Deutschen erkannte er vereinzelt Zeichen, wonach die öffentliche Rede als Jude und Überlebender in Deutschland wieder möglich sei. Dies wurde teils auch von jüdischer Seite begrüßt, da die Debatte über Bubers Besuch die Auseinandersetzung mit der Schoa in Deutschland anstoßen könne. Dass Buber das Preisgeld für Initiativen der israelisch-palästinensichen Versöhnung spendete, sollte die Diskussion jedoch weiter anheizen. Bei den politisch konservativen Kritikern stieß er damit erneut auf Unverständnis.
Martin Buber als Ehrengast auf der Frankfurter Buchmesse (Foto: Boris Spahn, Friedenspreis-Archiv)
Martin Buber als Ehrengast auf der Frankfurter Buchmesse	(Foto: Boris Spahn, Friedenspreis-Archiv)
Gesamte Rede: Das echte Gespräch und die Möglichkeiten des Friedens
(27. September 1953)
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Weitere Reden zum Themenfeld Nach Auschwitz
1963 / 1964: Ausstellung „Warschauer Ghetto“ und
„Auschwitz – Bilder und Dokumente“
Eugen Kogon: „Auschwitz und eine menschliche Zukunft“
(18. November 1964)
1965: Friedenspreis des Deutschen Buchhandels
Nelly Sachs: „Dankesrede“ (17. Oktober 1965)
2007: Friedenspreis des Deutschen Buchhandels
Saul Friedländer: „Dankesrede“ (14. Oktober 2007)