Die Paulskirche hat sich mittlerweile zum Ort einer zunehmend pluralen Erinnerungskultur entwickelt. In den Gedenkveranstaltungen werden heute nicht nur die verschiedenen Opfergruppen der nationalsozialistischen Verbrechen thematisiert. Auch globale Perspektiven, verschiedene Diskriminierungsformen und die Verflechtungen genozidaler Gewaltgeschichten finden zunehmend Berücksichtigung. Dass damit neue Konflikte einhergehen zeigt sich derzeit in der Auseinandersetzung um die Frage einer multidirektionalen Erinnerung oder im so genannte Historikerstreit 2.0. Im Unterschied zu den polarisiert geführten Debatten aber rücken die Reden in der Paulskirche immer wieder Gemeinsamkeiten und Solidarität zwischen verschiedenen Opfergruppen und Erinnerungskulturen in den Vordergrund. Stellvertretend hierfür steht etwa die Rede der Tänzerin Josephine Baker von 1957, die eine humanistische Perspektive an die Kritik des Rassismus knüpft. Der senegalesische Dichter und Politiker Léopold S. Senghor formuliert in seiner Rede 1968 wiederum eine Kritik am europäischen Humanismus und betont die Eigenständigkeit afrikanischer Kulturen trotz der kolonialen Gewalt. Auch der armenische Gedenktag für die Opfer des Genozids im Osmanischen Reich, der jährlich am 24. April in der Paulskirche stattfindet, trägt zur Pluralisierung einer solidarischen Erinnerungskultur bei.
Plenarsaal der Paulskirche im Jahr 1950 (Foto: Heinrich Oppermann)
Plenarsaal der Paulskirche im Jahr 1950 (Foto: Heinrich Oppermann)
Weiterführende Reden
1957: Einladung des Verbands für Freiheit und Menschenrechte e.V.
Josephine Baker: „For Humanity"
(19. Dezember 1957)
1968: Friedenspreis des Deutschen Buchhandels
Léopold Sédar Senghor: „Die Versöhnung der Gegensätze“
(22. September 1968)
1991 bis heute: Der 24. April 1915 – Gedenken für die Opfer des Genozids an den Armeniern und anderen christlichen Gemeinschaften im Osmanischen Reich