Auszug: Rede zur Eröffnung der Wehrmachtsausstellung (13. April 1997)
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Jan Philipp Reemtsma (*1952)
Ehem. Leiter des Hamburger Instituts für Sozialforschung
Geschichtsbilder korrigieren:
Reaktionen auf die Wehrmachtsausstellung in Frankfurt
Die vom Hamburger Institut für Sozialforschung konzipierte Wanderausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944“ machte 1997 auch in der Paulskirche Station. Sie dokumentiert, wie die Wehrmacht während des Krieges in den Gebieten der ehemaligen Sowjetunion am systematischen Massenmord und der Vernichtung der Zivilbevölkerung beteiligt war. Die gezeigten Fotos von Leichen und erhängten Personen, aufgenommen von einfachen Soldaten, die teilweise auf den Bildern posierten, waren für viele schwer anzusehen. Die Ausstellung führte vielfach zu einer Auseinandersetzung mit der bislang wenig bekannten historischen Forschung zur Wehrmacht. In der öffentlichen Diskussion dominieren jedoch eher jene, die sich an dieser kritischen Darstellung der „normalen“ Soldaten – teilweise ihren eigenen Großvätern – stören.
Dabei führt die Ausstellung eindrücklich vor Augen, dass die nationalsozialistische Vernichtungspolitik ohne die Beteiligung der Wehrmacht nicht hätte durchgeführt werden können. Sie korrigiert damit das bis dahin verbreitete Geschichtsbild, demzufolge nur die nationalsozialistische Elite, insbesondere die SS, für die Schoa verantwortlich war. Die Ausstellung legt kein pauschales Urteil über die gesamte Wehrmacht nahe, wird jedoch von mancher Seite so gedeutet. So führt die Konfrontation mit den historischen Gegebenheiten teils zu heftigen Abwehrreaktionen – in der Zivilbevölkerung, aber auch der Politik. Als sich herausstellt, dass einige wenige Bilder in der Ausstellung falsch zugeordnet und retuschiert sind, stellen die Kritiker die gesamte Präsentation in Frage. Die Macher der Ausstellung überarbeiten diese daraufhin und präsentieren sie in korrigierter Form ab 2001 erneut.
Lange Warteschlangen vor dem Eingang zur Wehrmachtsausstellung in der Paulskirche (Foto: Wilhelm Ullrich, ISG)
Verweigerte Auseinandersetzung:
rechte Allianzen und die Bedeutung der Paulskirche
Auch in Frankfurt stieß die Präsentation der Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944“ auf Protest. Wenn auch gemäßigter als in anderen Städten, so führten die Kritiker auch gegenüber der Frankfurter Präsentation an, dass sie historisch unsachgemäß sei und eine einseitige Darstellung von Wehrmachtssoldaten als Verbrecher vornehme, was deren „Ehre“ verletze. Zusammen bildeten die Kritiker eine Allianz aus Konservativen und extremen Rechten, die sich gegen die kritische Erinnerungskultur insgesamt positionierte. So gründete sich in Frankfurt anlässlich der Wehrmachtausstellung mit der „Arbeitsgemeinschaft Paulskirche“ ein Bündnis von rechten Studierenden, Soldaten und namhaften Vertretern der Neuen Rechten. Auch die Partei der Republikaner, die zu der Zeit im Römer saß, sowie Vertreter des rechten Parteiflügels der CDU – allen voran Erika Steinbach (heute Mitglied der AfD) – gehörten der Allianz an. Oberbürgermeisterin Petra Roth, die der Ausstellung wie viele andere aus der CDU demonstrativ fernblieb, schloss sich zunächst ebenfalls an. Angesichts des wiedererstarkten Rechtsextremismus in dieser Zeit wurde sie für dieses Verhalten bundesweit kritisiert.
Kritik von rechts erfuhr auch der Ausstellungsort: Musste es ausgerechnet die Paulskirche, der historische Ort der deutschen Nationalbewegung, sein? Die Initiatoren der Ausstellung hatten es selbst nicht auf die symbolische Bedeutung abgesehen, hielten die Wahl gleichwohl für angemessen. Wo sonst in Frankfurt könnte man die selbstkritische Auseinandersetzung mit der Geschichte besser verorten?
Besucherinnen und Besucher beim Anblick der von Wehrmachtssoldaten gemachten Fotos (Foto: Helmut Fricke)
Revisionen der Geschichte:
die Idealisierung des Widerstands in der Wehrmacht
Was sagt das Bild, das sich eine Gesellschaft vom Krieg macht, über sie selbst aus? Mit dieser Frage eröffnete Jan Philipp Reemtsma 1997 die Wehrmachtsausstellung in der Paulskirche. Die gezeigte Dokumentation wolle mit Legenden über die Wehrmacht aufräumen, indem sie mit der historischen Wirklichkeit der Verbrechen konfrontiere, Tatsachen und nicht Meinungen behandle.
Ganz anders die Kritiker der Ausstellung: ihnen geht es weniger um die historisch-kritische Erforschung als um die Ehrenrettung der Wehrmachtssoldaten. Die Ausstellung gilt ihnen als „einseitig“ und „unsachlich“. Man dürfe bei allem den Widerstand innerhalb der Wehrmacht nicht vergessen, etwa das Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944. Am letzten Tag der Wehrmachtsausstellung verkündet die Frankfurter CDU entsprechend, dass sie die von der Bundeswehr konzipierte Ausstellung „Aufstand des Gewissens – Militärischer Widerstand gegen Hitler und das Nazi-Regime 1933-1945“ in die Paulskirche holen werde – auch um der jungen Generation eine „mutmachendere“ Perspektive zu eröffnen. Die Ausstellung betrachtet die Geschichte politischer Attentate bis einschließlich des 20. Juli. Andere Widerstandsgruppen gegen den NS oder Wehrmachtsdesserteure werden kaum genannt.
Das Vorhaben, den militärischen Widerstand als Heldengeschichte zu zeigen, mündet jedoch in einem politischen Fiasko. Der Historiker Hans Mommsen, der den 20. Juli kritisch betrachtet, wird als Festredner zunächst ein- und später, offenbar auf Druck der CDU, wieder ausgeladen. Der Vorwurf der Zensur steht im Raum. Zur Eröffnung spricht schließlich Klaus von Dohnanyi, Sohn eines der Attentäter vom 20. Juli, und beschwört die Vaterlandsehre und das nationale Wir – ganz im Sinne der Allianz gegen die Wehrmachtssaustellung.
Mitinitiator Jan Philipp Reemtsma im Publikum bei der Ausstellungseröffnung (Foto: Helmut Fricke)
Gesamte Rede: Rede zur Eröffnung der Wehrmachtsausstellung (13. April 1997)
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