Auszug: Die Hoffnung führt weiter als die Furcht
(28. August 1982)
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Ernst Jünger (1895 – 1998)
Schriftsteller
Kulturpolitischer Streit:
Widersprüche der Preisjury und des Preisträgers
Der Goethepreis für den Schriftsteller Ernst Jünger 1982 war seinerzeit äußerst umstritten – und ist dies bis heute. Jünger war ein nationalkonservativer Kritiker der Demokratie und die von ihm mitherausgegebene Zeitschrift Antaios sowie sein Privatsekretär Armin Mohler bahnten der Neuen Rechten in der Bundesrepublik Deutschland den Weg. Vielen galt die Auszeichnung von Jüngers Werk daher als politisch motiviert. Wie kam es aber dazu, dass die Stadt Frankfurt ihren bedeutenden Preis an einen Schriftsteller verlieh, der in seinem mehrfach aufgelegten Werk In Stahlgewittern (1920) Krieg und Militär verherrlicht? Goethe selbst, so die Kritik, stehe in einem Widerspruch zum Preisträger. In der Presse und unter den Stadtverordneten gab es heftige Auseinandersetzungen. Vertreter der Grünen und der SPD forderten gar die Aberkennung des Preises – und blieben, wie andere Eingeladene, der Verleihung demonstrativ fern.
Bei seiner Begrüßung in der Paulskirche rechtfertigte Oberbürgermeister Walter Wallmann die Preisvergabe. Mehr noch: man sei sich der Kritik an Jünger bei der Entscheidung wohl bewusst gewesen. Jünger selbst zeigte sich in seiner Rede von den Protesten wenig beeindruckt. Stattdessen präsentierte er, ganz selbstbezogen, Beobachtungen zu seiner Rolle als Autor. Diese skizziert er als einsame, isolierte Position gegenüber der Gesellschaft, die sich aber auch auf das gesellschaftliche Geschehen beziehen müsse. Mit dieser Selbstpositionierung versucht er die Kritik an seiner Person als Angriff auf seine Unabhängigkeit als Schriftsteller zu verurteilen. Was aber heißt es, in der Literatur politisch Stellung zu beziehen? Diese Frage lässt Jünger in seiner Rede gänzlich offen.
Ernst Jünger mit Oberbürgermeister Walter Wallmann bei der Goethepreisverleihung in der Paulskirche (Foto: Helmut Fricke)
Ernst Jünger mit Oberbürgermeister Walter Wallmann bei der Goethepreisverleihung in der Paulskirche (Foto: Helmut Fricke)
Anfänge der „geistig-moralischen Wende“:
Verteidigung und Würdigung eines Nationalkonservativen
Die Verleihung des Goethepreises an Ernst Jünger kann als Versuch verstanden werden, nationalkonservative Werte gegen die politische Linke zu stärken. In der Begründung des Preises wird der Schriftsteller als Konservativer dargestellt, der dem Nationalsozialismus kritisch gegenüber war – wie es auch sein Buch Auf den Marmorklippen (1939) belege. Gewürdigt wird Jünger als Vertreter der klassischen deutschen Kultur, die durch das Dritte Reich untergegangen sei. Die städtische Preisjury hebt seine sprachliche Kraft und Beobachtungsgabe hervor. Auf die politischen Positionen und Aussagen des Schriftstellers geht sie in ihrer Würdigung mit keinem Wort ein.
Die späte Auszeichnung Jüngers als Schriftsteller bildet einen der Ausgangspunkte der „geistig-moralischen Wende“ (Helmut Kohl) in der Erinnerungskultur der Bundesrepublik Deutschland während der 1980er Jahre. Sie ist von dem konservativen Überdruss gekennzeichnet, sich weiterhin mit den Verbrechen des Nationalsozialismus auseinander setzen zu müssen. Mit dem Preis für Jünger gelingt es, eine Symbolfigur des Nationalkonservatismus zu rehabilitieren. Hierzu musste die Kritik an Jüngers politischen Aussagen als ideologisch motivierte Kritik zurückgewiesen und die literarische Qualität seiner Schriften in den Vordergrund gerückt werden. Dass der Schriftsteller ein expliziter Kritiker der parlamentarischen Demokratie war, durfte im Vorfeld der Preisverleihung in der Paulskirche keine Rolle spielen. So diente der Goethepreis für Jünger letztlich dazu, das nationale Selbstbild Deutschlands kulturpolitisch von der Vergangenheit zu entlasten.
Ernst Jünger mit Publikum beim Auszug aus der Paulskirche nach der Goethepreisverleihung (Foto: Barbara Klemm)
Ernst Jünger mit Publikum beim Auszug aus der Paulskirche nach der Goethepreisverleihung (Foto: Barbara Klemm)
An- und Leerlaufen der Kritik:
der Streit um politische Ansichten
Die Auszeichnung des nationalkonservativen Schriftstellers Ernst Jünger mit dem Goethepreis rief zwei strittige Fragen auf: welche Konsequenz hat dies für die Tradition des Preises selbst und inwieweit kann das literarische Werk eines Autors unabhängig von dessen politischen Ansichten bewertet werden? Oder anders gefragt: wie schlagen sich diese Ansichten in der Literatur nieder? Dass Jünger aufgrund seiner politischen Aussagen problematisch war, daran gab es von vielerlei Seite keinen Zweifel. Die Liste der Kritikpunkte war lang: Sie umfasste den sehr allgemeinen Vorwurf, dass sein Denken von Rassismus und Antisemitismus geprägt sei. Weiterhin wurde vorgehalten, dass sich in seiner antiliberalen, antikommunistischen und antiparlamentarischen Haltung gegen die Weimarer Republik eine Verachtung der Demokratie insgesamt zeige. Dadurch galt er, obwohl kein Anhänger Hitlers, als geistiger Wegbereiter des Nationalsozialismus. Dass er sich nach 1945 niemals ausdrücklich von seinen nationalkonservativen Gedanken distanzierte und zu den Verbrechen des Nationalsozialismus schwieg, wurde ihm als Ausdruck fehlender Moral vorgeworfen. Sein Schweigen sei kein Zeichen von Scham, sondern eines der bewussten Verdrängung.
Was also bewirkte die Preisverleihung an den umstrittenen Schriftsteller an dem Ort, der für die deutsche Demokratiegeschichte so bedeutsam ist? Trotz aller Kritik führte sie zur Verfestigung einer nationalistischen Auffassung von Kultur, die Jünger als einen heroischen deutschen Literaten verstand und dies bis heute tut. War das womöglich der eigentliche Erfolg der Preisverleihung?
Linke Protestaktionen vor der Paulskirche (Foto: Helmut Fricke)
Linke Protestaktionen vor der Paulskirche
		(Foto: Helmut Fricke)
Gesamte Rede: Die Hoffnung führt weiter als die Furcht (28. August 1982)
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