Kurzer Auszug: Zur Einweihung des Wiederaufbaus der Frankfurter Paulskirche
(18. Mai 1948)
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Walter Kolb (1902–1956)
Jurist, Politiker, ehemaliger Oberbürgermeister von Frankfurt
Frankfurt nach dem Krieg:
Aufbau aus Ruinen
Durch einen Bombenangriff der Alliierten gegen das nationalsozialistische Deutschland im März 1944 brannte die Paulskirche bis auf die Außenmauern aus. Dieser Anblick prägte das Stadtbild nach dem Krieg. Walter Kolb, der ab 1946 Frankfurts Oberbürgermeister war, erklärte den Wiederaufbau zum tragenden Element des gesellschaftlichen Neuanfangs. In der Ruine sah er ein Zeichen des politischen und moralischen Versagens in der NS-Zeit. Zugleich war die Paulskirche für ihn Sinnbild der demokratischen Traditionen vor 1933, an die er wieder anknüpfen wollte. Kolb, der als engagierter Sozialdemokrat von den Nationalsozialisten aus dem öffentlichen Dienst entlassen und mehrfach inhaftiert wurde, wird in der Nachkriegszeit zur Symbolfigur des Wiederaufbaus.
Welche Rolle spielen die NS-Verbrechen der jüngsten Vergangenheit hierbei? Wie lassen sie sich nach so kurzer Zeit für den Oberbürgermeister einordnen? In seiner Rede zur Grundsteinlegung im Jahr 1947 bezeichnet Kolb sie als Werk einiger „Verblendeter“, als tragisches Schicksal. Für ihn bilden sie den belasteten Ausgangspunkt des Wiederaufbaus, an dessen Ende die Paulskirche als „Denkmal europäischer Geisteshaltung und Größe“ erstrahlen sollte. Frankfurt und Deutschland insgesamt seien „hart getroffen“, nun aber voller Tatkraft und Lebensdrang, auf der Suche nach Heilung ihrer „Wunden“. Kolb spart in seiner Rede die wichtige Frage aus, weshalb der freiheitliche Geist, den er für den Wiederaufbau beschwört, nichts gegen den Faschismus ausrichten konnte.
Grundsteinlegung für den Wiederaufbau der Paulskirche im März 1947 (Foto: Kurt Weiner, ISG)
Grundsteinlegung für den Wiederaufbau der Paulskirche im März 1947 (Foto: Kurt Weiner, ISG)
Nationale Symbolkraft:
das Versprechen des Wiederaufbaus
Der Wiederaufbau der Paulskirche war für Walter Kolb ein Symbol. Mit ihm sollte die moralische Verpflichtung aller Deutschen gefordert werden, sich für Humanität einzusetzen. Zugleich sollte den notleidenden Menschen, die in den verschiedenen Besatzungszonen des geteilten Landes lebten, eine Aussicht auf nationale Einheit gegeben werden. Der Wiederaufbau werde Deutschland, so Kolb bei der Grundsteinlegung, „wieder zu Achtung und Ehre“ führen. In einem Aufruf der Stadt an alle deutschen Städte hieß es im Januar 1947: „Es geht nicht um Frankfurt, sondern um Deutschland, unser aller Vaterland. Die Paulskirche ist sein Haus und sein Sinnbild.“ Deutschland benötige ein „äußerlich sichtbares Zeichen für den Glauben an unsere Ideale und unseren Wiederaufstieg“. Die Paulskirche werde dieses Zeichen sein – „im Stein wie im Geiste“.
Angesichts des fehlenden Wohnraums stieß der Wiederaufbau in der Bevölkerung jedoch auch auf Unverständnis. Darauf reagierte Kolb, indem er den Bau der Friedrich-Ebert-Siedlung in Frankfurt veranlasste. Den Wiederaufbau der Altstadt, des Doms und des Theaters, der von vielen gefordert wurde, stellte er hingegen zurück. Kolb ließ sich nicht von seinem Weg abbringen – auch wenn ihm bewusst war, dass er mit seinen Plänen nicht allen Bedürfnissen der Bevölkerung nachkam. Es ging ihm darum, dem demokratischen Wiederaufbau am historischen Ort ein Denkmal zu setzen. Was aber heißt demokratischer Wiederaufbau? Und welche Bedeutung kommt einem Gebäude wie der Paulskirche bei gesellschaftlichen Veränderungen zu?
Die eingerüstete Paulskirche im Jahr 1948 (Foto: Kurt Weiner, ISG)
Die eingerüstete Paulskirche im Jahr 1948 (Foto: Kurt Weiner, ISG)
Menschenmenge rund um die Paulskirche am 18. Mai 1948 (Foto: Kurt Weiner, ISG)
Ohne Besinnung:
die Paulskirche als Ort demokratischer Selbstverständigung
Der Wiederaufbau der Paulskirche sollte zur Jahrhundertfeier der ersten deutschen Nationalversammlung fertig werden, um deren politisches Erbe anzutreten. Dieses bestand unter anderem in der Verabschiedung von Grund- und individuellen Freiheitsrechten. In seiner Rede zum Richtfest 1947 führte Oberbürgermeister Walter Kolb daher aus, dass der Kirchenraum fortan „der Heiligung und der Festigung staatsbürgerlichen Zusammenlebens für alle dienen“ werde. Das Datum des Jubiläums war für ihn „eine seltsame Fügung des Schicksals“, ein Zeichen für den demokratischen Neubeginn. Wie im Jahr 1848 ließ er die Straßen zur Jahrhundertfeier daher mit den Farben des neuen Deutschlands schmücken.
Was verspricht sich Kolb vom Blick zurück ins 19. Jahrhundert, so kurz nach der NS-Zeit? Er sucht nach einem Bezugspunkt in der deutschen Geschichte, der für einen demokratischen Aufbruch steht. Aber seine Idee, mit dem Wiederaufbau der Paulskirche zu vollenden, was 1848 beschlossen wurde, erschwert die ernsthafte Auseinandersetzung mit den Verbrechen des Nationalsozialismus. Auch, weil Kolb in seiner Eröffnungsrede von einer Zeit der „politischen und nationalen Irrungen“ und „des Ungeistes und der Unkultur“ spricht und nicht weiter darauf eingeht, warum Frankfurt bombardiert und die Paulskirche zerstört worden ist. Dennoch gelingt es ihm, dass in der Paulskirche in den ersten Jahren große Versammlungen, wie etwa die von Überlebenden- und Opferverbänden sowie der Arbeiter- und Frauenbewegung, mit vielen, teils internationalen Gästen stattfinden.
Walter Kolb bei seiner Rede zur Wiedereröffnung der Paulskirche (Foto: Kurt Röhrig, ISG)
Walter Kolb bei seiner Rede zur Wiedereröffnung der Paulskirche (Foto: Kurt Röhrig, ISG)
Längerer Auszug: Zur Einweihung des Wiederaufbaus der Frankfurter Paulskirche
(18. Mai 1948)
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