Auszug: Ansprache im Goethejahr (25. Juli 1949)
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Thomas Mann (1875 – 1955)
Schriftsteller
Rückkehr ins Nachkriegsdeutschland:
Vorbehalte und Missverständnisse
Aus Anlass der Goethe-Feier kehrt Thomas Mann im Juli 1949 nach 16 Jahren im Exil erstmals wieder zurück nach Deutschland. Bereits im Jahr zuvor hatte die Stadt Frankfurt ihn zur Einweihung der wiederaufgebauten Paulskirche eingeladen. Die Vorstellung, zu diesem Anlass die Festrede zu halten, schmeichelte Mann zwar, doch glaubte er nicht, den Erwartungen gerecht werden zu können und sagte ab. Die Veröffentlichung seiner Absage in einer Pressemitteilung der Stadt fachte die Diskussion über das Verhältnis Manns zu Deutschland weiter an. In der frühen Nachkriegszeit betrachteten viele Deutsche seine kritischen Wortmeldungen aus dem entfernten kalifornischen Exil als einen Störfaktor für den Wiederaufbau einer selbstbewussten Nation. Sie waren verbittert darüber, dass der einst so klar nationalkonservative Dichterfürst sich Deutschland gegenüber distanziert zeigte.
Mann hatte den Eindruck, dass seine Kritik an Nazideutschland auch in der Nachkriegszeit vielen Deutschen immer noch als ungerechtfertigt galt. Deshalb zögerte er, den Goethe-Preis anzunehmen, der ihm 1949 verliehen werden sollte. Die Feier des 200. Geburtstags Goethes bot ihm jedoch einen willkommenen Anlass, um eine Rede über seine Vorstellungen von deutscher Kultur zu halten. Als Emigrant hatte er zudem das Bedürfnis, das Missverständnis auszuräumen, er hätte Deutschland gänzlich abgeschworen. Also nahm er den Preis schließlich an.
Ankunft der Manns am Frankfurter Bahnhof im Juli 1949 (Foto: Kurt Weiner, ISG)
Ankunft der Manns am Frankfurter Bahnhof im Juli 1949 (Foto: Kurt Weiner, ISG)
Festlicher Empfang:
Wiedervereinigung mit der Stimme des Exils
Dass Thomas Manns Rückkehr nach Deutschland ausgerechnet in Frankfurt stattfand, war für die Offiziellen der Stadt eine große Ehre. Damit die Rückkehr feierlich sein könne, wurde Mann nahegelegt, nicht mit erhobenem Zeigefinger anzureisen. Dem Schriftsteller war klar, dass die Preisverleihung von der deutschen Öffentlichkeit nicht allein als Würdigung seiner schriftstellerischen Leistungen betrachtet werden würde. Bereits vor seinem Kommen betonte er in einem Brief an Frankfurts Oberbürgermeister Walter Kolb, dass er kein „Deserteur vom deutschen Schicksal“ sei. Er sei Deutscher geblieben und seine Heimat die deutsche Sprache, die er nie verlassen habe. Seine kritische Auseinandersetzung mit Deutschland, die seine Rede „Deutschland und die Deutschen“ (1945) oder den Roman Doktor Faustus (1947) prägt, wollte er als Zeugnis der Verbundenheit verstanden wissen. Zugleich erläuterte er in seiner Rede in der Paulskirche sein Selbstverständnis als politischer Flüchtling – ein Status, den er nicht gewählt habe und der sich auch nicht mehr rückgängig machen ließe.
Manns Auftritt in Frankfurt rief letztlich positive Reaktionen hervor. Sein Wunsch, dass Deutschland nach Ende der nationalsozialistischen Herrschaft wieder „zu sich“ finde, wird erhört. Mann und die Deutschen schienen wieder versöhnt. Doch inwieweit beflügelte der Schriftsteller mit seiner Rede in der Paulskirche die Rückgewinnung eines freiheitlichen deutschen Selbstverständnisses?
Katia und Thomas Mann in der Paulskirche bei der Goethe-Feier der Stadt Frankfurt (Foto: dpa)
Katia und Thomas Mann in der Paulskirche bei der Goethe-Feier der Stadt Frankfurt (Foto: dpa)
Weiter nach Weimar:
das Goethe-Jahr im geteilten Deutschland
Im Anschluss an seine Rede in der Paulskirche in Frankfurt reist Thomas Mann nach Weimar, um dort im Nationaltheater den Goethe-Nationalpreis anzunehmen und ein weiteres Mal seine „Ansprache im Goethejahr“ zu halten. Weimar ist 1949 neben Frankfurt der zweite zentrale Ort der Goethefeierlichkeiten. Beide Orte der deutschen Kulturgeschichte symbolisieren zugleich auch die Teilung Deutschlands. Bei seiner Rede in Frankfurt betont Mann jedoch, dass er selbst keine Zonen kenne und sein Besuch „Deutschland als Ganzem“ gelte. Die deutsche Sprache, die Goethe mitprägte, gilt ihm als ein verbindendes Moment, das nicht vom beginnenden Kalten Krieg berührt ist. Insofern erhoffte sich Mann von seinem Auftritt in Weimar letztlich eine vereinigende Wirkung.
Seine Weiterreise führte jedoch, wie schon seine Rückkehr selbst, zu heftigen Diskussionen. Nachdem die nationalkonservativen Stimmen im Westen zunächst beruhigt schienen, äußerten sie nun erneut Kritik. Für sie blieb es inakzeptabel, dass Mann sich nun dem Osten offen gegenüber zeigte. Warum distanzierte er sich, zumal als Exilant, nicht entschieden vom Kommunismus? Mit seinem Doppelbesuch wollte Mann die historische Bedeutung Goethes und seine Rolle als Identifikationsfigur für das geteilte Deutschland aufzeigen. Bei seiner Reise wurden ihm aber auch die Unterschiede deutlich: etwa, dass es den Menschen im Westen zwar wirtschaftlich besser ging, die Politik jedoch deutlich stärker mit den Kräften des reaktionären Nationalismus zu kämpfen hatte.
Thomas Mann während einer Stadtrundfahrt durch Weimar am 31. Juli 1949 (Foto: Klassik Stiftung Weimar)
Thomas Mann während einer Stadtrundfahrt durch Weimar am 31. Juli 1949 (Foto: Klassik Stiftung Weimar)
Gesamte Rede: Ansprache im Goethejahr (25. Juli 1949)
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